Reinhard Ermen: Zwischen Farbe und ,Nichtfarbe’. Zur Malerei von Dorothee Joachim
in: Dorothee Joachim, Ausstellungskatalog, Verein für aktuelle Kunst/Ruhrgebiet e.V., Oberhausen 1996
Der erste Blick – und so mag es vielen gehen –, der erste Blick hat wenig, woran er sich halten kann, denn ‚Bilder’ im Sinne von Images sind nicht zu sehen, eine (abstrakte) Komposition ist ebenfalls nicht auszumachen, genausowenig wie eine große materiale Geste, ganz im Gegenteil: die malerische Faktur scheint zuallererst Gleichmaß zu versprechen, die Farbigkeit ist jedenfalls äußerst zurückhaltend, um nicht zu sagen freundlich ‚blaß’; „weiß“ würde vielleicht ein ganz eiliger Betrachter sagen, der das Fehlen all der eingangs aufgezählten Sensationen schnell bemerkt hat und nicht bereit ist, sich auf das einzulassen, was Dorothee Joachims Malerei in Wirklichkeit zu bieten hat. Angesichts einer vielbeschworenen ‚Bilderflut’, die alles transportiert, was man ihr anvertraut, verweigert sich so eine Arbeit dem schnellen Dienst noch schnellerer Botschaften. Die Arbeit ist primär mit sich selbst und ihrem eigenen Innenleben beschäftigt, und von diesen anderen ‚Bildern’, die den medialen Rahmen von Malerei schlechthin nicht überschreiten wollen, gibt es in den letzten Jahren wieder mehr. Dabei wird dem Betrachter viel abverlangt. Er muß sich dem Werk entschieden zuwenden, um vielleicht seine korrumpierten Seherfahrungen in ihm zu spiegeln, zu überprüfen oder auch ablegen zu können.
Die Wirkung solcher Bilder ist auch eine Funktion der Betrachtungsdauer. Die hellen Arbeiten, denen sich Dorothee Joachim im Augenblick widmet, entwickeln erst mit der Zeit die ihnen eigene intensive Farbigkeit, die aus dem Weiß herauswächst. Eine solche Seherfahrung entspricht in gewisser Weise dem Arbeitsprozeß von Dorothee Joachim. In vielen dünnen Malschichten setzt sie Lasuren von Acrylfarbe übereinander, in denen jeweils Rot-, Gelb- oder Blaupigmente hochverdünnt, um nicht zu sagen in homöopathischen Dosen enthalten sind. Angestrebt ist zur Zeit so etwas wie eine Farbigkeit am Rande der ‚Nichtfarbigkeit’; gelegentliches Einarbeiten von Weiß unterstreicht diese Hinsicht. Die ausgedünnte, ja ausgebleichte Primärfarbentrias, die sich gegenseitig nicht neutralisieren darf, wird zum Klingen gebracht!
Auf der Bildzarge ist das Wachsen der angestrebten lichten Farbsummen nachvollziehbar. Hier wird ganz bewußt ein Einblick in die Arbeit gewährt, und diese Offenheit ist aus den Bildern von Dorothee Joachim nicht wegzudenken. Ein solcher Malprozeß ist bis zu einem gewissen Grade dem materialen, auch koloristischen Eigensinn der Farbe anheimgegeben, vielleicht sogar ausgeliefert. Ein Gleichmaß der Farbigkeit, das nicht intendiert ist, ließe sich gar nicht realisieren. Pinselspuren sind nur schwer auszumachen, stattdessen eine gleichsam materiale Geste im Geiste des eben beschworenen Eigensinns. Beim Trocknen überzieht sich die Maloberfläche nämlich mit einem craqueléartigen Geäder, in dem sich die Pigmente zusammengezogen haben. Das verleiht der Malerei einen empfindsamen, auch brüchigen Charakter. Dieser Eindruck potenziert sich in anderer Weise nochmals an den Kanten, wo die Farbe aufbricht, wo tiefer liegende Schichten stehengeblieben sind. Das klingt jetzt fast schon dramatisch, doch alles, was hier beschrieben wird, vollzieht sich im Rahmen ausgesprochen ‚leiser’ Bezüge, die foto- und drucktechnisch schon nicht mehr reproduziert werden können.
An solchen Punkten gerät auch der Eindruck einer sanften, ja gefälligen Farbigkeit, der noch den zu Anfang erwähnten schnellen Seherfahrungen zuzurechnen wäre, endgültig in Wanken. Denn hier gibt es im übertragenen Sinne fast schon abgegriffene ‚Schmutzkanten’; ohnehin steckt in dieser Malerei trotz all der schönen leisen Bezüge auch ein aggressives Potential. Hat der Betrachter sich erst einmal in die kleinen Unterschiede vertieft und eingesehen, wächst die Intensität der Töne bis hin zu tanzenden Farbräumen, die sich dem Auge freilich immer wieder entziehen. Das sind Augenblicke, die viel mit der entsprechenden Lichtsituation zu tun haben. Zusätzlich irritiert werden solche Momente durch dumpfe, unfarbige Bildpartien, die kaum zu greifen sind.
Der materiale Eigensinn gehört zum Konzept von Dorothee Joachim. Sie setzt die Bedingungen dafür und beaufsichtigt ihn entsprechend. Farbliche Dominanzen werden anvisiert. Es gibt Arbeiten, die durchaus mit Rot, Gelb oder Blau benannt werden können. Zudem entdeckt man die Tendenz zu einer fast unmerklichen Zentrierung: Die Malerei gewinnt an Intensität zur Mitte hin. In vorausgegangenen Arbeiten der Jahre 1993/94 war die Zentrierung noch ein konkretes Faktum. Gegenüberliegende Ränder wurden bewußt hervorgehoben; zeitweilig gab es mit dem liegenden Oval einen formalen Topos, der das Problem der Zentrierung ganz automatisch formulierte. Es gab ein Außen und Innen als bewußt gesetzte Stufen eines Tons. Diese Ovale waren wohl in mehrfacher Weise Schlüsselbilder. Die liegende, oft auch angeschnittene Form verweist mit Nachdruck auf das von Joachim bevorzugte Querformat. Es gab auch schon mit den Ovalen zweiteilige Arbeiten, in denen der Kontrast, etwa Blau zu Rot, eine wichtige Rolle spielte. Doch das Oval auf dem Rechteck birgt in sich schon so etwas wie eine Zweiteiligkeit. Und während Dorothee Joachim die Farbkontraste durch die Arbeit mit der lichten Primärfarbentrias mittlerweile auch in einteiligen Bildern austzrägt, entstehen in letzter Zeit immer öfter zweiteilige Arbeiten, in denen es nicht mehr um den Kontrast, sondern um Nuancen geht. Innerhalb der monochromen Flächen gibt es zwar noch Spuren einer Zentrierung, aber das formal strenge Innen und Außen der Ovale verlagert sich zum Nebeneinander: links ein Ton, der womöglich mit gelb zu umschreiben wäre, rechts wahrscheinlich rot; dazwischen die harte, konkrete Schattenkante. Die beiden Tafeln sehen einander zum Verwechseln ähnlich!
(Katalogtext in: Dorothee Joachim, Ausstellungskatalog, Verein für aktuelle Kunst/Ruhrgebiet e.V., Oberhausen, 1996)