Markus Schmitz: Stille Wasser sind tief
in: Reine Freude, Ausstellungskatalog, Eifelmuseum Blankenheim, 2002
Dorothee Joachims Bilder erscheinen zunächst unscheinbar, üben jedoch in ihren zarten Abstufungen von Weiß eine meditative Wirkung aus. Hinter dieser stillen Schönheit, die sich am besten in mehreren nebeneinander hängenden Bildern entfaltet, verbirgt sich eine Welt, die sich dem Betrachter erst bei näherem Hinsehen erschließt.
Zunächst fällt eine gewisse Rauhigkeit auf; aus nächster Nähe erkennt man dann plötzlich eine zarte Netzstruktur, die sich über das ganze Bild zieht. Betrachtet man die Bilder gar mit der Lupe, so offenbaren sich mikroskopische Farbstriche in den Grundfarben, die die Künstlerin stark verdünnt in vielen Schichten auf die Leinwand aufträgt. Damit setzt sie einen Prozess in Gang, der nicht exakt gesteuert wird, der jedoch aus eigener Dynamik eine für das jeweilige Bild individuelle Ausprägung entwickelt. Wie fraktale Strukturen entstehen die netzartigen Formen nicht regellos, jedoch sind sie auch nicht exakt vorhersagbar. Aus dem Mikrokosmos erwächst hier aufgrund geheimer Gesetze, die vielleicht nicht bis ins Letzte erschlossen werden können, eine höhere Ebene, die ein ganz eigenes Erscheinungsbild hat. Dorothee Joachims Bilder gemahnen an elementare Wachstumsprozesse, was die Ursache für ihre eigentümliche Harmonie sein mag.
Umgekehrt vergegenwärtigen sie aber auch den Wahrnehmungsvorgang, der in absteigender Richtung ebenfalls in Stufen verläuft: Von der Gesamtschau über die nähere Betrachtung dringt man in den Mikrokosmos vor; es ergeben sich jeweils verschiedene voneinander unabhängige Betrachtungsweisen, die letztlich jedoch auf einer gemeinsamen Grundstruktur beruhen. Dabei hat jede Ebene ihre eigene Qualität und ihren eigenen sinnlichen Reiz. In dieser stillen Sinnlichkeit enthalten Dorothee Joachims Bilder als Allegorie über die Ebenen des Daseins eine tiefe Spiritualität.