Galerie Dorit Jacobs, Köln, 1994; Arbeiten aus den Jahren 1993-94, Pigmente und Acryl auf Nessel  (Fotos: Alistair Overbruck)
     6 Abbildungen

 

Ulrich Krempel
Katalogtext in: Dorothee Joachim, Ausstellungskatalog, Galerie Dorit Jacobs, Köln 1994

Dorothee Joachim läßt ihre Bilder aus dem allmählichen Übereinanderwachsen vieler lasierender Farbschichten entstehen: dünne Malflüssigkeiten sitzen übereinander auf der Leinwand, wie zarte Häute übereinander formieren sie farbige Eindrücke, obwohl jedes einzelne dieser Häutchen ein blasses ist, wenig intensiv in seiner Farbigkeit. Durch die Addition der Farbhäute entsteht ein Gewebe, ein Geflecht von verschiedenen Schichten unterschiedlicher Farbigkeit, das sich erst in der Addition zu einem gemeinsamen Ganzen zusammenfindet. Dem Auge des Sehenden bleibt die Möglichkeit, in diese irisierenden Schichten hineinzusehen, Raumtiefen zu erkennen, sich andeutende Tiefen zu begreifen und so in der Geschichte des Bildes ein Stück des Entstehungsprozesses wiederzufinden.

Die Formen, die Dorothee Joachim in der letzten Zeit entwickelt hat, zeigen wie schon die Werkgruppen zuvor eine intensive Beziehung von gefundener Form und Bildformat auf. Das Oval, die Ellipse und das Rechteck stehen in intensiver, vibrierender Beziehung miteinander. Die Ellipse – liegend oder stehend, lagernd oder schwebend – touchiert gelegentlich fast schon den Bildrand, zumeist verweigert sie aber diese Berührung und läßt uns in nervöser Anspannung des Sehens zurück. Die vibrierende Relation von runder und rechteckiger Form, von Positiv (Oval) und Negativ (Rechteck minus Oval) läßt die harmonischen Qualitäten der großen Rundform im Bild, die ja wesentlich aus Farbe besteht, in Relation zu der harten Begrenzung, die zugleich Einengung wie Formrahmen sein kann, intensiv spürbar werden. Nach einem Wort der Künstlerin ist die Festsetzung des maximalen Volumens durch den Bildrahmen dimensioniert, während die Rundformen Dimensionen haben, die von ihrer Ausdehnung erzählen. Ausdehnung ist auch das Thema der Rechteckformen, indes in einer anderen Weise: das Rechteck thematisiert das Ende der Ausdehnung, während das Rund, das Oval, die Ellipse den Gang, das Fortschreiten der Ausdehnung bis zu einem bestimmten Ziel beschreibt.

Die zweidimensionalen Bildfelder verbleiben in der Fläche. Die Malweise, wir sprachen schon von den Schichten der Lasuren, dringt in Raumtiefen vor, die irreal und doch gesehen sind. Fläche und Raum erscheinen so in einer merkwürdig spannungsreichen Beziehung: keines ist eindeutig, die Illusion ist gemeint und doch vermieden, sie ist gemacht und doch nicht gemeint. Die Bilder von Dorothee Joachim erzählen Eindeutiges erst dann, wenn sie sich in Kombination mit anderen deutlich zu ihrem Farbcharakter bekennen; die relative Schwäche der Farbintensität läßt im Anschauen des Einzelwerks vieles an Denk- und Deutungsmöglichkeiten offen, was im Zusammentreffen mit anderen Arbeiten deutlicher und eindeutiger zu verstehen ist.

Dorothee Joachims Bilder definieren, ob allein oder im Miteinander, die Räume, in denen sie sich befinden. Das ist deshalb möglich, weil sie atmosphärische Klänge produzieren, die nicht nur sie selbst definieren, sondern die auch ausstrahlen in den Raum und auf die weißen Flächen um sie herum. Eine Mikrowirkung geht von diesen Arbeiten aus, die nachhaltig für thematisch-atmosphärische Veränderungen, für bestimmte Farbschwingungen in den Räumen verantwortlich ist. Die Bilder verarbeiten Licht, indem sie es in Farbe und Raumklänge umwandeln; sie sind Empfänger von Außenlicht, um selber zum Sender von atmosphärischem Licht zu werden. So vermögen sie, in der Stille ihrer Wirkung und in der schwingenden Kraft ihrer reduzierten Probleme, gleichwohl auf Räume einzugreifen, in denen äußere Reize zunächst viel stärker zu wirken scheinen. Die Nachhaltigkeit der Stille wirkt in solchen Arbeiten.

Dorothee Joachims Malerei fordert vom Betrachter eine eigene Situation. Sie verlangt nach Stille, nach der Intensität der Betrachtung, nach dem Vertrauen auf das eigene Sehen. Solche Bilder erschließen sich nicht mit einem Blick: sie öffnen sich erst beim genauen Betrachten, beim intensiven Nachschauen. Schichten erschließen sich schließlich auch erst dann, wenn man es schafft, sehend die Oberfläche auf dem Weg in die Tiefe zu überwinden. Zeit braucht ein solches Verharren; Eigenzeit des Bildes muß so wirksam werden können, und diese muß ermöglicht werden durch ein Geschenk von Zeit seitens des Betrachters an die Kunst. Erst dann klingen atmosphärische und mentale Stärken aus diesen Arbeiten, erst dann schaffen die Bilder den Weg aus der Reduziertheit der strengen Form in dei Wirksamkeit der Farben hinein. Und auch wenn die Lust der Entstehungsgeschichte dieser Bilder, die Welle und Welle von neuer Lasur entstehen ließen, im Nachvollzug des Sehens nicht im einzelnen zu rekonstruieren ist: die Lust des Sehens kommt uns doch an angesichts so leise formulierter, intensiver Farberlebnisse. In der Stille formuliert sich eine Vision von dem, was Farbe für uns, mit uns und in uns bewirken kann. Sie ist Stimmungsträger und Atmosphäregeber; sie ist ein wirksamer Faktor im Mikroklima unserer Umgebung.

 

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