Galerie Schütte, Essen, 2001; Arbeiten aus den Jahren 1999-2001, Pigmente und Acryl auf Nessel bzw. Holz (Fotos: Alistair Overbruck)
Sabine Müller
Katalogtext in: Dorothee Joachim, Ausstellungskatalog, Kunstmuseum Alte Post, Mülheim/Ruhr 2001 >> English version
Wenn die Lichtintensität unter ein bestimmtes Niveau sinkt, ist das Auge nicht mehr in der Lage, Farben zu erkennen. Jeden Abend, in einem bestimmten Moment, verwandelt sich das Farbenspektrum in eine nicht weniger differenzierte Skala von Grauwerten (und am Morgen wiederholt sich derselbe Vorgang in umgekehrter Reihenfolge). Man stelle sich vor, dieser Augenblick des Wechsels vom Farbensehen zum Schwarzweißsehen könnte angehalten werden, ja man wäre sogar in der Lage, beliebig umzuschalten und sich an die kleinste Menge an Licht heranzutasten, die gerade noch ausreicht, um Farben wahrzunehmen. Mit Hilfe von künstlichem Licht ließe sich dieses Experiment leicht durchführen. Wer würde wann – noch oder schon – welche Farben sehen? Welche Empfindung würde dieser Moment des Wieder-Erkennens oder Nicht-mehr-Erkennens der Farben im Einzelfall auslösen? Mit Sicherheit hätte eine solche Übung ein verändertes Bewußtsein zur Folge für die Bedeutung der Farben, ihr Wesen, ihre Kraft, Wärme, Energie, Temperatur, ihren Einfluß auf das Gefühl, den Körper, den Geist, die Seele.
Leuchten die Farben der Blumen im Herbst wirklich intensiver als im Frühjahr, oder ist es nur diese mit weißlichen Schleiern von Frühnebel als Vorbote einer farblosen Jahreszeit hereinbrechende Trübung, die das Rot der Dahlien wie von innen beleuchtet aufglühen lässt?