Farbkontrast. András Gál und Dorothee Joachim

Von Peter Lodermeyer

András Gál gehört zu den wenigen Malern, die sich seit vielen Jahren konsequent und kompromisslos der monochromen Malerei verschrieben haben. Was für viele andere nur eine Zwischenphase oder ein Extrem- und Umschlagpunkt ihrer malerischen Entwicklung ist, stellt für ihn eine geradlinige und unumstößliche Strategie dar. Die Rezeption der monochromen Malerei ist zu großen Teilen von einer Rhetorik des Verzichts bestimmt. Das Malen einer einzigen Farbe pro Bild wird dabei als Beschränkung, Reduktion oder Minimalismus empfunden. Monochromie erscheint folglich als eine asketische künstlerische Praktik, die sich bewusst der Vielfalt malerischer Möglichkeiten verschließt. Wenn man sich jedoch intensiver mit dem Werk von András Gál befasst, kommt man leicht zu der gegenteiligen Auffassung, dass seine Verwendung der Farbe eine Großzügigkeit darstellt, eine Geste des Überschusses: Farbe satt – Exzess und Verschwendung (im Batailleschen Sinne). Man sollte in Erinnerung behalten, dass zu den prägenden Einflüssen Gáls während seiner Akademiezeit das Erlebnis der Materialbilder des Wiener Aktionisten Otto Muehl mit ihrer ekstatischen, Kunst und Leben zusammenzwingenden Grundstimmung gewesen ist.

Vielleicht ist das Wort Monochromie schon mehr eine Interpretation als eine Beschreibung von Gáls Malerei. Es unterstellt, dass es ihm primär um chroma, um Farbe als Farbe, geht. Eine zunächst überraschende Aussage von András Gál in einem Interview von 2013 lautet: „Ich betrachte mich nicht als Farbmaler.“ Um dies zu verstehen, muss man sich nur anschauen, wie die gemalte Farbe bei ihm in Erscheinung tritt. Von entscheidender Bedeutung ist dabei die Faktur seiner Bilder, die Art, wie die Farbe auf dem Bildträger verteilt ist. Bei seinen neuesten hellgrauen, weißen und gelben Gemälden, die entweder als 50 x 50 Zentimeter messende Quadrate (und das heißt: richtungsneutral) oder aber als extreme Querformate von 30 x 60 Zentimetern angelegt sind, werden die Bildseiten, anders als in den vergangenen Jahren, nicht bemalt. So bleiben die beiden materiellen Konstituenten des Gemäldes – die rohe Leinwand als Bildträger und die darauf sitzende Ölfarbe – in ihrem Verhältnis zueinander deutlich ablesbar. Typisch für Gáls Bilder ist die mal feinere, mal gröbere Strukturierung der Oberflächen, der Rhythmus der Grate, Vertiefungen und Schrunden im Farbmaterial, all die Spuren des Malprozesses, d. h. des Verteilens der Ölfarbe mithilfe von Spateln und Farbrollen. Bei Gál wirkt die Farbe mit ihrem leichten Glanz immer frisch, sie hat stets die Anmutung von Feuchtigkeit und pastoser Fülle. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass sich Farbe bei ihm nicht als vibrierendes visuelles Feld oder als Farbraum präsentiert, in den man als Betrachter kontemplativ eintaucht, sondern eben als auf dem Bildgrund verteilte materielle Substanz. Der Farbwert des Pigments ist angesichts dieser sinnlichen materiellen Präsenz sekundär.

Die Gemälde von Dorothee Joachim erweisen sich als geradezu ideale Gegenstücke dazu. Die erste gemeinsame Zweierausstellung dieser beiden Künstler bietet die besondere Gelegenheit, zwei konsequente, wenn man will: radikale malerische Strategien in direktem Vergleich zu erleben, wobei sich die Eigenarten der jeweiligen malerischen Haltung im Nebeneinander besonders deutlich artikulieren, umso mehr dort, wo sie sich in einem vergleichbaren Farbraum begegnen wie etwa bei den grauen Bildern.

Dorothee Joachims Gemälde werden von vielen Betrachtern als monochrome Malerei wahrgenommen, und in der Tat wirken sie aus einigem Abstand betrachtet wie homogene, leicht vibrierende oder schwebende Farbfelder von begrifflich meist schwer zu bestimmender Farbigkeit. Aus der Nahdistanz jedoch erkennt man deutlich, dass sich ihr Kolorit aus der Überlagerung mehrerer Farben ergibt. Die Gemälde sind tatsächlich nie monochrom, sondern stets und ausschließlich aus den drei Primärfarben Blau, Rot und Gelb gebildet. Sie unterscheiden sich in allen Parametern deutlich von Gáls Werken. Ihre Gemälde sind mit Acrylfarbe auf MDF gemalt (nicht mit Öl auf Leinwand), sie entstehen nicht in einem homogenen Arbeitsgang, sondern aus der sehr zeitaufwändigen Schichtung unzähliger stets vollflächig aufgetragener, extrem verdünnter Lasurschichten. Die Farbe selbst erscheint matt und trocken, nicht feucht und glänzend. Joachims stets klein- bis mittelformatige Bilder auf MDF-Platten sind grundsätzlich leicht querformatig, wobei ihre bevorzugten, 22 x 25,5, 30 x 35 oder 40 x 46 Zentimeter messenden Formate jeweils das gleiche Verhältnis von Breite zu Höhe (ungefähr 1,15 : 1) aufweisen.

Der größte und bedeutendste Kontrast zu András Gál aber liegt in der Faktur. Auch die Arbeiten von Dorothee Joachim weisen eine reiche und vielfältige Oberflächenstruktur auf, die aus ihrem spezifischen Malprozess resultiert. Dass die Bildflächen eben keineswegs homogen, sondern von einer Vielzahl kleinster Körnungen, Erhebungen und craqueléartigen Risslinien übersät ist, erkennt man nur in der Nahbetrachtung. Entscheidend ist, dass diese Strukturen streng genommen nicht gemalt, sondern selbsttätig aufgrund der Eigenschaften der verwendeten Materialien (Pigmente, Bindemittel, Wasser) entstanden sind. Die Mikrostrukturen der Bildoberflächen ergeben sich aus den chemischen und physikalischen Vorgängen im Farbauftrag und während der Trocknungsphasen, also in naturanalogen Formungsprozessen. Diese Prozesse steuert Joachim durch die Methodik ihres Farbauftrags und das wiederholte Drehen der beim Malen stets an der Wand hängenden MDF-Tafeln. Das Resultat ist am deutlichsten an den Bildrändern zu erkennen. So kann etwa ein graues Bild einen gelben Rand aufweisen – nicht, weil Dorothee Joachim ihn gelb gemalt hätte, sondern weil sich die Pigmentverteilung von allein so eingestellt hat, offenbar auch aufgrund der besonderen Adhäsionskräfte an den Rändern der MDF-Platten. Joachims Gemälde besitzen daher die faszinierende Eigenschaft der Selbstrahmung. Gerade an ihren Randzonen weisen ihre Gemälde die markantesten Abweichungen von der vermeintlichen Gleichverteilung der Farbfläche auf.

So sehr die Arbeitsweisen von Dorothee Joachim und András Gál sich auch unterscheiden mögen, ihre Gemälde sind einander – über den rein visuellen Aspekt hinaus – darin ähnlich, dass die Materialität der jeweiligen Farbmittel sowie die spezifischen Arbeitsprozesse entscheidenden Einfluss auf Aussehen und Farbwirkung der Gemälde haben. Für die Besucher der Ausstellung bieten die Ähnlichkeiten und Differenzen zwischen diesen beiden malerischen Strategien ein reiches Feld für überraschende Entdeckungen und eine Fülle von Einsichten in die Möglichkeiten nichtgegenständlicher Malerei heute.

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